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Human Brain Project: Neuer Streit um Gehirnsimulation

Foto: Corbis

Gehirnsimulation Forscher drohen mit Boykott von Milliarden-Projekt der EU

Streit über das Human Brain Project: Hunderte Wissenschaftler kritisieren "Bürokratie" und "Geschwafel" beim Prestige-Vorhaben der EU, das Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson heilen helfen soll.

Es ist ein Projekt der Superlative: Etwa 500 Wissenschaftler von 80 Instituten aus über 20 Ländern wollen ein vollständiges Modell des menschlichen Gehirns mit einem Supercomputer bauen. Mit bis zu einer Milliarde Euro will die EU das Vorhaben fördern, das den Schlüssel zur Heilung von Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson liefern könnte. Und nebenbei auch klären soll, wie man Computern menschliche Intelligenz verleiht.

Nun bekommt das ambitionierte Vorhaben heftigen Gegenwind von Neuroforschern aus ganz Europa. In einem offenen Brief an die EU-Kommission  kritisieren die mittlerweile fast 300 Unterzeichner das in ihren Augen schlechte Management beim Human Brain Project.

"Viele Labore haben eine Mitarbeit an dem Projekt abgelehnt, als es vorgestellt wurde", heißt es in dem Schreiben. Der Fokus sei zu schmal, und das verschärfe sich nun weiter, weil ein Teilprojekt aus dem Bereich Hirnforschung gestrichen werden solle. Offenbar fürchten die Neuroexperten, dass es im Human Brain Project vor allem um Supercomputer geht - und zu wenig darum, zu verstehen, wie das Gehirn funktioniert.

Zudem empfehlen die Unterzeichner, das Management des Human Brain Projects zu überprüfen, bevor weitere Millionen aus dem EU-Haushalt freigegeben werden. Das ganze Vorhaben solle auf den Prüfstand. Dabei werde man "substanzielle Fehler" finden, die ein Erreichen der Ziele verhinderten. Es mangele an Flexibilität und Offenheit.

Sollte eine Evaluierung des Projekts keine zufriedenstellenden Ergebnisse bringen, fordern die Unterzeichner EU-Kommission und EU-Mitgliedstaaten dazu auf, Forschungsgelder vom Human Brain Project abzuziehen. Am Ende des Briefs steht eine unmissverständliche Drohung: "Wenn die EU-Kommission unsere Empfehlungen nicht umsetzen kann, werden wir, die Unterzeichner, uns nicht am Human Brain Project beteiligen und unsere Kollegen auffordern, es ebenso zu halten."

Zu den Unterzeichnern gehören renommierte Neurowissenschaftler wie

  • Ad Aertsen, Direktor am Bernstein Center Freiburg,
  • Zachary Mainen, Direktor des Champalimaud Neuroscience Programme in Lissabon,
  • Jason Kerr, Direktor der Abteilung Organisation des Gehirns und Verhaltens am Forschungszentrum Caesar Bonn,
  • Patrik Vuilleumier, Direktor am Geneva Neuroscience Center der Universität Genf und
  • Alexander Borst, Direktor am Max-Planck-Institut für Neurobiologie Martinsried.

"Bürokratie und Geschwafel"

Das ambitionierte Vorhaben, initiiert und angeführt von Henry Markram (École Polytechnique Fédérale in Lausanne), war von Anfang an umstritten. Forscherkollegen hielten die Pläne für unrealistisch. Simulationen an Supercomputern seien verfrüht, solange man Details der Abläufe im Gehirn nicht vollständig verstanden habe, hieß es.

Mit Stanislas Dehaene, Direktor der Cognitive Neuroimaging Unit am INSERM-CEA nahe Paris, kritisiert auch ein amtierender Co-Direktor des Human Brain Projects das Vorhaben scharf: Er sei bestürzt über die "beispiellose Bürokratie und das Geschwafel". Es fehle eine transparente, demokratische Begutachtung. Die geplanten Simulationen der Abläufe im Gehirn seien zwar "nicht vollkommen nutzlos", könnten jedoch nicht dazu beitragen, Gehirnfunktionen und Krankheiten aufzuklären, sagte er dem Magazin "Nature" . Um seine Argumentation zu stützen, bemüht Dehaene einen Vergleich: Ähnlich verhalte es sich mit der Simulation jeder einzelnen Feder eines Vogels. Auch damit könne man das Fliegen nicht erklären.

EU-Kommissions-Sprecher Ryan Heath rief zu Geduld auf. Es sei verfrüht, über Erfolg oder Misserfolg des Projekts zu urteilen, das gerade mal neun Monate laufe. Die EU werde den wissenschaftlichen Fortschritt und das Management des Projekts jedes Jahr streng prüfen.

Henry Markram, der Chef des Human Brain Projects, kritisierte die Unterzeichner des offenen Briefs. Diese hätten das Vorhaben nicht verstanden. Er räumte zugleich ein, dass die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern verbesserungswürdig sei, die nicht direkt in das Projekt involviert seien.

"Ich denke, wir müssen mehr kommunizieren, dass das Projekt den Forschern hilft, mehr Förderung zu bekommen", sagte Markram. Die Wissenschaftler hätten das Gefühl, das ihnen Geld weggenommen werde, sodass sie ihre wichtige Arbeit nicht mehr erledigen könnten. "Es besteht da keine Gefahr", betonte er.

Ähnlich äußerte sich der Heidelberger Physiker Karlheinz Meier, Co-Direktor des Projekts: "Es handelt sich um ein Technologie- und Computingprojekt - und kein neurowissenschaftliches", sagte er laut "Süddeutscher Zeitung". Es gehe darum, die Disziplin der computerbasierten Neurowissenschaft aufzubauen, die komplementär zur laborbasierten Neurowissenschaft sein soll. Die Laborforscher hätten vor allem Angst, dass ihre Disziplin an den Rand gedrängt werde.

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