Herr Todenhöfer, Sie waren vor Weihnachten zehn Tage bei IS-Kämpfern in Syrien. Wie sehr mussten Sie um Leib und Leben fürchten?

TodenhöferWir waren mitten im Krieg. Es gab jede Nacht Schießereien. Ich hörte, wie in der Nähe Bomben einschlugen. Über uns waren amerikanische Flugzeuge. Sie hatten uns geortet und kamen relativ tief herunter. Die erste Nacht bei den IS-Kämpfern habe ich in Rakka in Syrien verbracht. Als wir später zurückkamen, war die Wohnung ausgebombt, in der wir untergebracht waren.

Haben Sie Hinweise dafür, dass IS inzwischen entscheidend geschwächt wäre?

TodenhöferIch kann nur das beurteilen, was ich selbst gesehen habe. Da hatte ich nie den Eindruck einer Schwächung. Der Islamische Staat hat mittlerweile ein Gebiet größer als Großbritannien erobert. Ob eine Stadt wie Kobane in ein paar Tagen, in wenigen Wochen oder gar nicht eingenommen wird, spielt da überhaupt keine Rolle. Rakka und Mossul sind Millionenstädte. Sie werden vom IS beherrscht. Ich habe in meinen zehn Tagen vor Ort festgestellt, dass die Kämpfer des IS sehr stark und voller Siegesgewissheit sind. Sie verströmen einen Fanatismus und einen Enthusiasmus wie ich ihn selbst bei den Taliban nicht erlebt habe. Das hat mich verblüfft.

Ist IS militärisch zu besiegen?

TodenhöferIch frage mich, wie das gehen soll. Nehmen Sie Mossul: Das ist eine Drei-Millionen-Stadt, die von 5000 IS-Kämpfern beherrscht wird. Sie leben übers gesamte Stadtgebiet verstreut. Wenn man sie besiegen wollte, müsste man ganz Mossul dem Erdboden gleichmachen. Der größte Wunsch des IS ist, dass der Westen Bodentruppen schickt. Mit ihrer unbeschreiblichen Brutalität und ihren Enthauptungsvideos wollen sie offenbar genau das provozieren.

Hinrichtungen, Vergewaltigungen, Vertreibungen, Einschüchterung – wie rechtfertigen die Kämpfer diese Brutalität?

TodenhöferDiese Bewegung agiert wie im Mittelalter. Aus der Zeit kennen wir diese Formen der Bestrafung. Das ist aus westlicher Sicht ein zivilisatorischer Rückschritt. In der Ideologie des IS ist es aber die Voraussetzung für das wahre Leben. Dazu gehört der unbedingte Glaube, zu einer auserwählten Minderheit zu gehören, die Schritt für Schritt das gelobte Land erobert.