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Deutschland Rundfunkpläne

Die Medienrevolution der großen Koalition

Die große Koalition plant Eingriffe in den Pressemarkt, finanziert mit Rundfunkgebühren Die große Koalition plant Eingriffe in den Pressemarkt, finanziert mit Rundfunkgebühren
Die große Koalition plant Eingriffe in den Pressemarkt, finanziert mit Rundfunkgebühren
Quelle: picture-alliance/ ZB
Weil die Digitalisierung die föderale Medienaufsicht ausbremst, wollen Union und SPD den Markt völlig neu ordnen, öffentlich-rechtliche Angebote schützen und die Regionalpresse subventionieren.

Das Verhandlungsergebnis der großen Koalition zur Medienpolitik wurde bislang als wenig spektakulär aufgenommen und fand neben den viel diskutierten renten-, arbeitsmarkt- und sicherheitspolitischen Vereinbarungen von Union und SPD kaum Aufmerksamkeit. Doch aus den Festlegungen spricht nicht weniger als die Absicht, der Republik eine völlig neue Medienordnung zu geben.

Und das nach Grundsätzen, wie sie im SPD-mitregierten Nordrhein-Westfalen im neuen Landesmediengesetzentwurf bereits ausformuliert sind und für heftigen Streit gesorgt haben. Vor allem die geplante Neubewertung von Medienprodukten nach ihrem Nutzen für das Gemeinwohl ("Public Value") und die Subventionierung der Regionalpresse aus dem Rundfunkgebührenaufkommen sorgen dort für Konfliktstoff.

In der Koalitionsvereinbarung von Union uns SPD finden sich in der Tat tragende Teile der umstrittenen sozialdemokratischen NRW-Medienpolitik wieder. Unter dem Stichwort "kooperativer Kulturföderalismus" heißt es in dem Vertrag: "Die Digitalisierung und die damit einhergehende Konvergenz der Medien prägen die aktuelle Entwicklung der Medienwelt. Dabei soll nicht der Verbreitungsweg, sondern der Inhalt über das Regulierungsregime entscheiden."

Eine "zeitlich befristete Bund-Länder-Kommission" soll deshalb "erforderliche Kompatibilitätsregeln und daran anknüpfende Anpassungen" bei "Medienaufsicht, Telekommunikationsrecht und Wettbewerbsrecht" erarbeiten.

Internet-Angebote sind Sache des Bundes

Hinter diesen abstrakt anmutenden Formulierungen steckt die konkrete Absicht, die bislang streng von der Medienaufsicht der Länder getrennte Netzpolitik des Bundes übergreifend zu harmonisieren. Im gleichen Zuge soll auf der Grundlage neu einzuführender Qualitätskriterien ("Public Value") ein Regelungskanon für die Angebotspräsentation von Medienprodukten auf den neuen digitalen Auswahloberflächen ("Smart-TV") bis hin zu wirtschaftlichen Förderungsmaßnahmen (z. B. für die Regionalpresse) in Kraft gesetzt werden.

Ein weitergehender Eingriff in die bestehende Medienordnung ist kaum vorstellbar, das macht ein Blick auf die bisherige Medienverfassung der Republik deutlich. Denn Netz- und Rundfunkpolitik liegen in Deutschland bislang in streng getrennten Zuständigkeiten. Unterscheidungsmerkmal ist dabei bislang der Verbreitungsweg.

Rundfunk-Angebote (früher ausschließlich per Funk ausgestrahlte Radio- und TV-Angebote) sind laut Grundgesetz und Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts "Kultur" und damit im Prinzip Ländersache, unterliegen also deren Medienaufsicht. Internet-Angebote dagegen sind im Wesentlichen Sache des Bundes, der die Regeln dafür mit dem Telekommunikationsgesetz setzt und deren Einhaltung überwacht. In einem dritten Regelungsbereich überwachen Institutionen des Bundes die medienkartellrechtliche Lage über die Ländergrenzen hinweg.

An der deutschen Medienaufsicht vorbei

Diese auf überholter technischer Grundlage entstandene und zwischen Bund und Ländern aufgespaltene Medienverfassung ist mit der sogenannten Konvergenz der Medien infolge der Digitalisierung schon seit Jahren zum Auslaufmodell geworden. Sie besteht im Grunde nur noch auf dem Papier. Denn traditionelle "Funk"-Medienangebote der ursprünglich vor allem regional wirkenden Landesrundfunkanstalten werden längst nicht nur deutschlandweit per Kabel und europaweit via Satellit verbreitet, sondern längst auch per Internet in die ganze Welt.

Auf dem gleichen Wege werden internationale Mediendienste wie "YouTube" oder "Netflix" über das Netz als Konkurrenzangebote im deutschen Medienmarkt platziert. Alle zusammen landen sie auf den Auswahloberflächen der neuen Multimedia-Terminals im Wohnzimmer (PC, Smart-TV, Tablet-Computer) – und das eben weitgehend an der deutschen Medienaufsicht vorbei.

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Das will die große Koalition nun ändern. Das Medienerzeugnis selbst, nicht mehr der Weg, auf dem es verbreitet wird, soll Gegenstand der Regulierung sein – im Zusammenwirken von Bund und Ländern. Brisant ist in diesem Zusammenhang, dass ein "Public Value" des Medienangebots Kriterium für eine hervorgehobene Präsentation in den elektronischen Programmführern und seine Schutzwürdigkeit sein soll.

Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: "Private und öffentlich-rechtliche audiovisuelle Medienangebote und journalistisch-redaktionelle Inhalte, die einen Beitrag im Sinne des Public Value leisten, sollen einen diskriminierungsfreien Zugang zu Distributionswegen und eine herausgehobene Auffindbarkeit erhalten."

„In veränderter Medienwelt auf Regulierung verständigen“

Marc Jan Eumann, als Medienstaatssekretär der SPD in NRW federführend bei der einschlägigen Mediengesetznovelle, war maßgeblicher Mitautor des Medienkapitels im Koalitionsvertrag. Er erklärt dazu im Gespräch mit der "Welt": "Wollen wir, dass ein koreanischer Fernsehgerätehersteller die Positionierung von Informationsangeboten in den neuen Auswahloberflächen festlegt, oder soll dieses Ergebnis eines hierzulande gefundenen gesellschaftlichen Konsenses sein? Wir sagen: Bund und Länder müssen sich in der veränderten Medienwelt auf eine Regulierung verständigen, die – zumal hochwertigen – heimischen Medienangeboten faire Marktchancen lässt."

Bei der "diskriminierungsfreien Informationsübermittlung" im Koalitionsvertrag gehe es im Prinzip um nichts anderes als "die Übertragung des ‚Must-Carry-Prinzips‘ bei der TV-Kabelbelegung in eine 'Must-Be-Found'-Regelung im Bereich der neuen audiovisuellen Angebote", führt Eumann aus.

Die Neubewertung von Medienangeboten – nach dem Kriterium "Public Value" – wolle man auf die bereits in der europäischen Medienpolitik und auch hierzulande gültige Definitionen stützen. "Dabei geht es keinesfalls um die Regulierung von Medieninhalten, sondern um die Priorisierung von Medienangeboten, die zum Beispiel eine journalistische Infrastruktur im Hintergrund haben. So wie die Schweiz das auch handhabt: Gibt es eine Redaktion im Hintergrund, wird dort Weiterbildung angeboten", betont Eumann.

Ausrichtung einer Medienprofessur

Gerade die genannte neue "Priorisierung" der Medienangebote wird im Zusammenhang mit der in NRW von Eumann angestoßenen Mediengesetznovelle bereits kontrovers diskutiert. Denn wer soll eigentlich entscheiden, welches Angebot bevorzugt verbreitet und in den neuen digitalen Auswahloberflächen hervorgehoben präsentiert wird? Und wie soll für "faire Marktchancen" der "Public-Value"-Angebote, wie Eumann sie versteht, gesorgt werden?

Liest man in der Eumannschen NRW-Mediengesetznovelle nach, so soll dort beispielsweise eine "Stiftung Vielfalt und Partizipation", angebunden an die Landesmedienanstalt und von dieser – also über den Rundfunkbeitrag – finanziert, die Regionalpresse fördern. Von "Förderung der Akzeptanz von lokaler und regionaler Berichterstattung beim Mediennutzer", ist dort dir Rede.

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Auch die Ausrichtung einer Medienprofessur aus diesen Mitteln ist vorgesehen. Zeitungsverlegerverbände haben diese Medienregulationsideen bereits deutlich kritisiert, weil eben auf diesem Wege eine inhaltliche Einflussnahme auf Medienprodukte befürchtet wird. Eine ausufernde und inhaltlich eingreifende staatliche Regulierung unter dem Vorwand einer technikbedingten Neuordnung der Medienaufsicht wird von zahlreichen Experten befürchtet.

„Es geht nicht um Regulierungswut“

SPD-Medienpolitiker Eumann hält dagegen: „Es geht nicht um Regulierungswut, sondern darum, im Rahmen der jeweiligen Kompetenzen von Bund und Ländern eine neue Medienordnung zu erarbeiten, die der digitalisierten Welt Rechnung trägt.“ Rundfunk- und Netzpolitik müsse zusammengedacht werden. „Oder soll hierzulande beispielsweise RTL und Pro 7 vom Kartellamt der Betrieb einer Netzplattform untersagt werden, während angelsächsische Angebote wie die On-Demand-Plattformen Hulu oder Netflix freie Bahn auch im deutschen Markt haben?", fragt Eumann.

Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD trage eine "starke Handschrift der Union", das werde auch im Kultur- und Medienbereich deutlich, erklärte Michael Kretschmer, Vize-Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der für die Union federführend in der Medien-Koalitions-AG war, nach Abschluss der Beratungen. Doch der Koalitionsvertrag mutet zumindest in seinen medienpolitischen Passagen wie eine Kopie der sozialdemokratischen Mediengesetznovelle in NRW an.

Im Gespräch mit der "Welt" weist Kretschmer diesen Eindruck zurück: „Es gibt keine klare Definition von 'Public Value'. Die Formulierung im Koalitionsvertrag ist sehr offen. Eine Veränderung der Medienordnung in Deutschland nach dem Vorbild von Nordrhein-Westfalen wird es mit der Union nicht geben."

Dass den medienpolitischen Vereinbarungen des Koalitionsvertrages ein tatsächlicher inhaltlicher Konsens zu Grunde liegt, darf also bezweifelt werden. Die Verhandlungen in der von den Groß-Koalitionären vorgesehenen Bund-Länder-Kommission zur Neuordnung der Medienaufsicht in Deutschland dürften also spannend werden.

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