Offener Brief an Bundestagsabgeordnete Ansgar Heveling und Patrick Sensburg:
Sehr geehrter Herr Heveling,
Sehr geehrter Prof. Dr. Sensburg,
den Medien [1] habe ich entnommen, dass Sie sich für schärfere Strafen bei gezielten Falschinformationen engagieren. Ich als juristischer Laie bin der Auffassung, dass es keinen Eingriff seitens des Gesetzgebers in diesem Lebensbereich bedarf. Folgende zwei Aspekte spielen m.E. dabei eine wichtige Rolle.
1) Ich bilde mir ein, dass ich die Beweggründe für die anhaltende Kampagne der CDU gegen die #Netzgemeinde nachvollziehen kann. Ich bin aber nicht einverstanden, dass allein deswegen, dass CDU-Wahlkampf auf die herkömmlichen etablierten Medien ausgelegt ist, dass CDU beim Thema Soziale Medien die #Medienkompetenz fehlt, diese Soziale Medien aus den CDU-Reihen kampagnienartig stigmatisiert, diffamiert, verunglimpft werden.
Bevor CDU ernsthaft versucht entsprechende Gesetzesvorhaben hinsichtlich "schärfere Gesetze, um Falschinformationen im Netz strafrechtlich zu ahnden" [1] auf den Weg zu bringen, biete ich Ihnen ein Anwendungsfall für so ein Gesetz. Das, was CDU seit Jahren in Bezug auf Soziale Netzwerke betreibt - s. https://pod.geraspora.de/posts/5568418 und https://diaspora.zone/posts/101479 - trägt für mich definitiv die Züge einer Kampagne. Schüren von Ängsten, die Verbreitung von Falschinformationen sind ein fester Bestandteil dieser CDU-Kampagne.
Ein plakatives Beispiel für die Verbreitung von Falschinformationen im Rahmen dieser Kampagne ist die vom hessischen Ministerpräsidenten und Stv. Vorsitzenden der CDU Volker Bouffier den Deutschlandfunkzuhörern präsentierte Beschreibung dazu, wie eine Top-Meldung im Netz entsteht.
In diesem Zitat "viele Menschen schauen einen erstaunt an, wenn ich sage, pass mal auf, zum Beispiel im amerikanischen Wahlkampf waren nach Schätzung aller Fachleute mindestens ein Drittel aller Meldungen nicht von Menschen, sondern von Robotern. Das erschreckt mich. Und warum? Weil dann an einer Stelle einer oder von mir aus ein paar Leute einen Roboter programmieren, und wenn ich dann eine Behauptung ins Netz stelle, die vielleicht zunächst mal keinen Menschen interessiert, ich aber über Roboter millionenfach diese Behauptung sozusagen ständig aufrufe, dann passiert Folgendes. Die großen Suchmaschinen mit ihren Algorithmen achten drauf. Was wird am meisten aufgerufen – aufgerufen, nachgefragt? Das kommt dann ganz oben hin. Und das ist dann plötzlich die Top-Meldung. Und wir müssen aufpassen, dass wir uns von solchen Geschichten nicht in die falsche Richtung lenken lassen."
www.deutschlandfunk.de/volker-bouffier-zur-bundestagswahl-die-union-muss-aufs.868.de.html
enthaltene Beschreibung, wie eine Top-Meldung entsteht, halte ich für grundfalsch. Dies muss man sich auf der Zunge zergehen lassen - ein Politiker, der mit einer Falschbehauptung das Volk vor dem Abbiegen in die falsche Richtung warnt! Und diese Falschbehauptung hat der hessische Ministepräsident bis heute nicht zurückgenommen.
Ich erwarte von einem Politiker vom Kaliber wie Volker Bouffier einer ist, dass er sorgfältig seine Argumente wählt. Nicht zuletzt, weil diese Argumente m.E. ein Bestandteil einer durchdachten Kampagne der CDU sind, um die Soziale Medien zu diffamieren und bestimmte Freiheiten im digitalen Raum einzuschränken. Und insbesondere, weil es hier um die vom Gundgesetz geschützte "Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung" https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html geht.
Um diese Freiheiten einzuschränken, müssen die CDU-Politiker etwas solideres, als falsche Behauptungen dazu, wie Top-Meldungen entstehen, benennen. Ich brauche keine fürsorgliche Politiker, die zuweilen scheuen, mir die Europa-Politik zu erklären, weil die Materie angeblich zu komplziert ist. Oder Politiker, die - wie CDU es aktuell vormacht - sich vorgenommen haben, mich von falschen Nachrichten zu schützen. Ich erwarte viel mehr von den Politikern, dass diese sich ernsthaft Gedanken machen und entsprechende Maßnahmen einleiten, damit die Medienkompetenz sich spürbar verbessert - in der breiten Masse, aber nicht zuletzt auch bei den Politikern selbst.
Spätestens dann, wenn von der CDU geforderte "schärfere Gesetze, um Falschinformationen im Netz strafrechtlich zu ahnden" in Kraft treten, muss sich ein Volker Bouffier in Acht nehmen, wenn er vor das Mikro tritt und dem gemeinen Volk irgendeine Binsenweisheiten erklärt. Dann ist u.U. Volker Bouffier derjenige, der die Schärfe des Gesetzes selbst zu spüren bekommt!
2) Ich habe Sorgen, dass die o. g. von Ihnen beabsichtigte gesetzliche Regulierung die Wucht und die Qualität hat, das empfindliche Gefüge, das die Verleger, Journalistinnen und Journalisten bis dato im Presserat geleitet vom Pressekodex in Eigenverantwortung im Gleichgewicht halten, auf unzulässige Weise gestört wird.
[1] Internet: CDU-Politiker für schärfere Strafen bei gezielten Falschinformationen, 13.12.2013 - http://www.deutschlandfunk.de/internet-cdu-politiker-fuer-schaerfere-strafen-bei.447.de.html?drn:news_id=688062
[2] #WirSchaffenDas! Digitales Neuland zu einem sicheren und lebenswerten Raum umgestalten, 03.12.2016 - https://pod.geraspora.de/posts/5568418
[3] CDU stigmatisiert Soziale Medien als “Plattform des Hasses und der Desinformation”, 02.12.2016 - https://diaspora.zone/posts/101479
[4] Kommentar: Warum Volker Bouffier im digitalen Neuland herumirrt, 30.11.2016 - https://diaspora.zone/posts/94993
[5] Hessischer Ministerpräsident erklärt SEO-Basics - Step by Step, 29.11.2016 - https://seo-portal.de/forum/topic/77145-hessischer-ministerpr%C3%A4sident-erkl%C3%A4rt-seo-basics-step-by-step/
[6] Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 5 - https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html
[7] Pressekodex - https://de.wikipedia.org/wiki/Pressekodex
Mit freundlichen Grüßen
Gustav Wall